Ursachen einer Handysucht
Wie genau eine Handysucht entsteht, ist schwierig zu sagen. Der exakte Zeitpunkt, wenn aus einer Vorliebe eine Abhängigkeit wird, lässt sich im Grunde nicht bestimmen. Es gibt allerdings Hinweise und Anzeichen dafür, dass man in eine Sucht hineingeraten ist. Der Weg dorthin ist für jeden Menschen anders – macht man einen Schritt zurück, erkennt man aus der Beobachterperspektive Gemeinsamkeiten. Und um diese Gemeinsamkeiten geht es im vorliegenden Artikel.
Wir beschäftigen uns näher mit dem Belohnungszentrum in unserem Gehirn, mit dem Wohlfühlhormon Dopamin und damit, wie Social-Media-Plattformen aufgebaut sind. Dort findet sich der Schlüssel zur Smartphonesucht. Abhängig vom reinen Akt des Telefonierens ist nämlich noch niemand geworden. Oder zumindest tritt diese Sucht nicht in einem relevanten Ausmaß auf.
Du interessierst dich für eine spezielle (mögliche) Ursache der Handysucht? Dann klick in unserem Inhaltsverzeichnis ganz einfach auf die dazugehörige Überschrift und spring direkt an die Stelle im Text, an der wir uns näher mit diesem Punkt beschäftigen.
Datum: 25. September 2024
Autor: Matthias Wiesmeier
Das Belohnungszentrum in unserem Gehirn
Die Wissenschaft kann mittlerweile sehr genau beschreiben, welche Vorgänge in unserem Gehirn in welcher Situation ablaufen. Welche Regionen sind aktiv, wenn wir Schmerzen spüren? Welche, wenn wir träumen? Forscher haben bislang mehrere unterschiedliche Zentren identifiziert, die in unterschiedlichen Zusammenhängen angesprochen werden.
Eines davon ist der Nucleus accumbens – das sogenannte Belohnungszentrum. Um es zu stimulieren, leitet unser Organismus den Botenstoff Dopamin in eben dieses Zentrum. Die Folge: Wir verspüren Freude und Zufriedenheit.
Das ist grundsätzlich eine gute Sache. Das Belohnungszentrum wird aktiv, wenn wir angenehme Gefühle erwarten. Dadurch werden wir angetrieben, bestimmte Dinge zu tun, die in uns eben diese angenehmen Gefühle auslösen. Zum Beispiel kommt es beim bzw. nach dem Sport zur verstärkten Ausschüttung von Dopamin. Wir wissen zwar, dass die kommende Trainingseinheit hart wird, überwinden uns aber trotzdem, weil uns danach ein gutes Gefühl erwartet. Ein durchaus schlauer Mechanismus, den sich die Natur da hat einfallen lassen. Allerdings kann genau dieser Mechanismus auch problematisch werden.
Fettiges und kohlenhydratreiches Essen stimuliert unser Belohnungszentrum. Wir laufen deshalb Gefahr, viel zu viel derartige (meist ungesunde) Nahrungsmittel zu uns zu nehmen. Der Effekt wird sogar noch verstärkt, wenn Kohlenhydrate und Fette in einem einzigen Lebensmittel gemeinsam auftreten.
Drogen und Rauschmittel setzen genau an diesem Belohnungszentrum an. Sie aktivieren es ohne Umwege. Wir müssen im Grunde gar nichts dafür tun, uns nicht bewegen und uns nicht anstrengen. Die jeweiligen Substanzen wirken sofort und verschaffen uns ein Hochgefühl. Wer hier nicht aufpasst, rutscht besonders schnell in eine Abhängigkeit.
Auch Social-Media-Plattformen nutzen das Belohnungszentrum, um uns länger zu binden und die Verweildauer zu erhöhen. Wie sie das machen, sehen wir uns in einem eigenen Kapitel näher an. An dieser Stelle nur so viel: Wir haben es hier mit der wohl häufigsten Ursache für das Entstehen einer Handysucht zu tun.
Das Belohnungszentrum ist also ein ausgesprochen wirkmächtiger Bereich in unserem Gehirn. Seine Stimulation bringt uns dazu, eigentlich anstrengende Dinge zu tun, weil wir wissen, dass ein gutes Gefühl auf uns wartet. Wir streben deshalb immer danach, uns zu verbessern. Das Belohnungszentrum als Motor unserer (persönlichen) Weiterentwicklung.
Dopamin – die körpereigene Droge
In unserem Körper greifen viele kleine und große – sprichwörtliche – Zahnrädchen ineinander, damit alles so funktioniert, wie es das soll. Eine wichtige Rolle übernehmen in all diesen Abläufen die Hormone. Dabei handelt es sich um chemische Botenstoffe, die Informationen übermitteln und zahlreiche Vorgänge im Körper regulieren, dazu zählen unter anderem:
- Stoffwechsel
- Atmung
- Blutdruck
- Salz- und Wasserhaushalt
- Sexualtrieb
- Schwangerschaft
In Zusammenhang mit der Entstehung einer Sucht spielt besonders das Hormon Dopamin eine wichtige Rolle. Der Botenstoff wird immer dann ausgeschüttet, wenn wir mit Lust und Freude verbundene Tätigkeiten ausführen. Oder wenn wir den „einfachen“ Umweg über Rauschmittel und Drogen nehmen.
Studien haben gezeigt, dass wir unseren Dopaminspiegel auch auf nachhaltige und gesunde Art und Weise erhöhen können. Und zwar durch Meditation. Übrigens: Auch Sonnenlicht führt – neben der Produktion von Vitamin D – zur verstärkten Ausschüttung von Dopamin.
Dopamin gilt – wie auch Serotonin – als besonders starkes Glückshormon. Ist unser Dopaminspiegel nicht in Balance, kann das allerdings schwerwiegende Folgen nach sich ziehen:
- Zu wenig Dopamin: Parkinson
- Zu viel Dopamin: Wahn, Halluzinationen, Schizophrenie
Begriffsklärung: Gibt es die Handysucht überhaupt?
Zugegeben: Eine etwas seltsam anmutende Frage in einem Artikel, der auf einer Website zum Thema „Handysucht“ veröffentlicht wird. Natürlich gibt es Handysucht, oder? Im alltäglichen Sprachgebrauch ist der Begriff fest verankert, tatsächlich gibt es DIE klassische Handysucht allerdings nicht.
Von einer „Handysucht“ Betroffene sind nicht abhängig von einem konkreten technischen Gerät. Vielmehr sind es die mannigfaltigen Möglichkeiten, die eine derart starke Anziehungskraft ausüben. Das krankhafte Verlangen nach Smartphones fällt offiziell also mehr unter den Sammelbegriff der „Internetsucht“.
Bis heute herrscht in der Wissenschaft kein Konsens darüber, ob der exzessive Gebrauch von Smartphones und Mobiltelefonen als eigenständige Krankheit anzusehen ist. Das Klassifizierungssystem für medizinische bzw. psychiatrische Diagnosen (ICD-10, DSM-5) beinhaltet keinen spezifischen Code für dieses vermeintliche Krankheitsbild. Ein Grund dafür ist die (noch) sehr geringe Anzahl an wissenschaftlichen Studien rund um diese Thematik.
Technisch gesprochen kann die Antwort auf die Frage aus der Überschrift also nur lauten: Nein, eine Handysucht an sich gibt es nicht. In der Praxis ist diese Erkenntnis allerdings nicht relevant. Jemand der ohne sein Smartphone quasi nicht mehr leben kann, ist abhängig. Ob sich die Abhängigkeit nun auf das konkrete technische Gerät bezieht oder die Programme, die es enthält, ist zweitrangig.

Handysucht: Die gefährliche Architektur von Social Media
Aufbauend auf die Erkenntnis aus dem vorangegangenen Kapitel können wir uns nun weiteren Ursachen für das Entstehen einer Handysucht widmen. Tatsächlich sind nämlich alle großen Social-Media-Plattformen so konstruiert, dass sie uns abhängig machen sollen. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von „Addictive Design“. Im Grunde haben wir es also mit gewollter Abhängigkeit zu tun.
Um zu verstehen, wie die funktioniert, müssen wir zunächst einen kurzen Blick zurückwerfen. Wie mächtig unser Belohnungszentrum ist, haben wir bereits erklärt. Nun ist es so, dass jedes Like, jedes Herz, jeder Daumen nach oben, jeder Kommentar auf Social Media einen kleinen Impuls für unser Belohnungszentrum darstellt. Einen Mini-Rausch sozusagen. Wir bekommen laufend Kleinstdosen unserer körpereigenen Drogen ab. Unser Gehirn schwimmt quasi in Dopamin.
Die Entwickler und Designer hinter den großen Social-Media-Plattformen haben das Ziel, unsere Verweildauer in ihren Netzwerken so lang wie möglich auszudehnen. Um das zu erreichen, setzen sie auf das bereits erwähnte „Addictive Design“ – auch als „Persuasive Design“, „Desire Engine“ oder „Captology“ benannt. Zu den zentralen Methoden dieses Ansatzes zählen unter anderem:
Likes:
Wer kennt sie nicht? Ploppt auf unsrem Smartphonedisplay ein Like, ein Herz ein „Daumen hoch“ oder sonstiges auf, versetzt uns das einen kleinen Euphorieschub, unser Belohnungszentrum wird angesprochen, es kommt zur verstärkten Produktion von Dopamin. Da wir sofort danach ein neues Hochgefühl erleben wollen, bleiben wir auf der Plattform aktiv und somit länger am Handy.
Push-Benachrichtigungen:
Erscheinen unvorhergesehen, durchbrechen die Monotonie des Alltags und wirken dadurch „erfrischend“. In Wahrheit stören sie lediglich unsere Konzentration und lenken unsere Aufmerksamkeit immer und immer wieder auf das Smartphone.
Notifications:
Vermitteln uns den Eindruck, dass enorm wichtige Neuigkeiten auf uns warten würden. In Wahrheit handelt es sich aber meist um langweilige 0815-Meldungen. Dennoch klicken wir immer wieder drauf, weil wir Angst haben, etwas zu verpassen. Sie spielen mit unserer „Fear of missing out“ (FOMO).
Sende-/Lesebestätigung:
Klar haben die diversen Messengerdienste unsere Art miteinander zu kommunizieren verändert. Der Austausch ist unmittelbarer geworden und losgelöst von räumlichen Einschränkungen. Allerdings übt diese Kommunikationsweise auch sozialen Druck auf uns aus. Zum Beispiel durch Sende- und Lesebestätigungen. Wir wissen jetzt, wann die Nachricht beim Empfänger angekommen ist und wann er sie gelesen hat. Wollen wir den Status checken, müssen wir immer wieder das Smartphone in die Hand nehmen. Gleichzeitig fühlen wir uns zu einer schnelleren Antwort genötigt, weil wir wissen, dass unser Gegenüber ebenfalls über die Status-Informationen verfügt.
Auto-Filter:
Öffnen wir bei Snapchat die Selfiekamera, präsentiert uns die App automatisch einen beliebigen Filter. Was wie eine harmlose Spielerei wirkt, soll uns länger an das Programm binden. Die Filter erwecken unsere Neugier, wir probieren Dinge aus, tüfteln herum und verbringen viel mehr Zeit in der App, als wir eigentlich wollten.
Streaks:
Wo wir schon bei Snapchat sind: Ein zentrales Element der Plattform sind die Streaks, also Strähnen. Diese verlängern sich, wenn wir mit einem anderen Nutzer täglich kommunizieren. Solange die Serie hält, stellen wir laufend neue High-Scores auf, das Belohnungszentrum wird gekitzelt. Den Topwert will natürlich niemand riskieren, also schickt man eine Message, obwohl es eigentlich gar nichts zu sagen gibt. Wir haben es hier mit einem weiteren Fall „erzwungener“ Screentime zu tun, die Plattform nutzt unsere Verlustängste.
Auto-Play:
Bei den meisten von uns läuft es im Alltag so ab: Haben wir etwas begonnen, wollen wir das auch zu Ende bringen. Diesen Umstand machen sich die Entwickler von Youtube zunutze. Konkret sieht das so aus, dass noch während das alte Video läuft wir bereits Vorschläge für den nächsten Clip bekommen. Dadurch bleiben wir auf der Plattform „hängen“, unsere Nutzungszeit steigt massiv an.
Storys:
Sie sind längst keine Neuigkeit mehr, waren in den Urzeiten von Social Media allerdings noch nicht mit von der Partie. Storys sind nur für begrenzte Zeit abrufbar (meist 24 Stunden) und nutzen ebenfalls unsere „Fear of missing out“ (FOMO). Damit wir ja keine Infos von unseren Freunden oder Lieblingsstars verpassen, müssen wir zwangsweise öfter aufs Smartphone schauen. Storys findet man mittlerweile auch längst in Messengerdiensten.
Infinite Scrolling:
Social Media hat keinen Anfang und kein Ende. Wie eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Man kann nie ans Ende gelangen, sondern bekommt bis in alle Ewigkeit neuen Content serviert. Die Nutzungsdauer wird praktisch ins Unendliche verlängert.
Dazu kommt der Umstand, dass die Inhalte unserer Social-Media-Feeds dank ausgefeilter Algorithmen exakt auf uns zugeschnitten sind. Sie entsprechen 1:1 unserem Profil und unseren Vorlieben, so werden langweilige Momente reduziert und das Aktivierungspotenzial sowie das Interesse konstant hochgehalten. Handy weglegen? Keine Chance!
Ursachen einer Handysucht: Unser Fazit
Rein technisch gesprochen gibt es die „Handysucht“ eigentlich nicht. Betroffene sind ja nicht von dem technischen Gerät selbst abhängig, sondern von den unzähligen Möglichkeiten, die es uns bietet.
Und diese Möglichkeiten sind so gestaltet, dass wir möglichst viel Zeit damit verbringen, unseren Blick auf das Smartphonedisplay zu richten. All die Apps, die Messenger, die Social-Media-Plattformen sind nach dem Prinzip des „Addictive Design“ aufgebaut.
All ihre Features sollen unsere Verweildauer erhöhen und somit die Profite der Entwickler/Betreiber etc. steigern. Sie sprechen unser Belohnungszentrum im Gehirn an, jedes Like verschafft uns eine Mini-Dosis Dopamin. Davon wollen wir immer mehr und mehr – deshalb greifen wir häufiger zum Smartphone und die Gefahr der Herausbildung einer Abhängigkeit steigt. Bis zu einem gewissen Grad ist die Sucht von Entwicklerseite sogar gewollt und geplant.
- Einfache 60 Seiten
- Dient als Anleitung
- Sofort Motivation
- Ideales Geschenk
- Softcover: 19,00 EUR
- E-Book: 9,99 EUR
Quellen:
- Buch: Handysucht überwinden – ISBN 9783384133885 – Matthias Wiesmeier

Matthias Wiesmeier ist selbständiger Webdesigner und Autor seit 2006. Seine Themen umfassen Sport, Psychologie und Gesundheit. Autor vom Selbsthilfe Buch "Handysucht überwinden".